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Urbanisierung: Atlanta sollte mehr wie Barcelona sein

11.06.2019 | 8 min Lesedauer | Written by Johannes Heinrich

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Städte sind ein Erfolgsmodell. Seit der Antike bilden sie mit ihren Werkstätten, Fabriken, Schulen und Museen Orte der menschlichen Weiterentwicklung und schaffen Wohlstand. Nicht ohne Grund unternehmen Länder wie die Volksrepublik China große Anstrengungen, um Millionen Menschen aus der Landbevölkerung zu Stadtbewohnern zu machen. Mit dem Beginn der Industrialisierung in Japan, Europa und Nordamerika setzte die Urbanisierung – also die Ausbreitung städtischer Lebensformen – global ein. Seit den 1950er Jahren erfolgt dieser Prozess verstärkt auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Doch die Entstehung von Ballungsräumen sowie die zunehmende Verstädterung bringt die Erde an ihre Belastungsgrenze. Damit die Städte der Zukunft tatsächlich eine Zukunft haben, liegt es auch am Bau- und Immobiliengewerbe, die passenden Antworten und Lösungen zu finden.


Hongkong Wohnblock Blick zum Himmel in der Nacht

Die Städte werden mehr

Die Weltbevölkerung wächst und das zieht Auswirkungen nach sich. Laut Angaben der UN werden bis 2050 von knapp 10 Milliarden Menschen rund zwei Drittel in Städten leben. Den Spitzenreiter wird Japan bilden, wo knapp 95% der Bevölkerung im urbanen Raum zuhause sein werden. Zurzeit liegen die Industrienationen beim Grad der Urbanisierung noch deutlich vor den Schwellenländern und der Dritten Welt. Doch in Zukunft wird der größte Zuwachs an bebauten Gebieten vor allem in Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Lateinamerika erfolgen – der Löwenanteil entfällt dabei auf Nigeria, Indien und China. In Folge werden auch mehr Megastädte mit einer Einwohnerzahl von über 10 Millionen entstehen. 2030 soll es von ihnen weltweit bereits über 40 geben.

Fest steht: Die Urbanisierung wird der Welt in den kommenden Jahrzehnten rasant und prägend ihren Stempel aufdrücken. Doch die damit verbundenen Prozesse werden in den Industriestaaten und Entwicklungsländern unterschiedlich verlaufen. Die Urbanisierung in Japan zeigt, wie sich die Situation in westlichen Ländern entwickeln wird: Die Verstädterung schreitet zunehmend langsamer voran – hier wird es in Zukunft vor allem um die Optimierung bestehender Strukturen vor dem Hintergrund einer zunehmend vernetzten und alternden Gesellschaft gehen. In der Dritten Welt müssen in den Städten der Zukunft hingegen die Kapazitäten für eine rasch wachsende Bevölkerung geschaffen werden. Da wie dort werden die Herausforderungen für die Stadtplanung groß sein.

Folgen der Verstädterung

Bereits heute zählt die nigerianische Metropole Lagos eine Bevölkerung von 21 Millionen Einwohnern. Bis 2050 soll diese Zahl auf über 32 Millionen anwachsen. In diesem Zusammenhang ist das folgende Gedankenspiel interessant: Im Durchschnitt verspeist jeder Mensch in Nigeria pro Jahr 33 Kilogramm Reis. Umgelegt auf die angenommene Bevölkerungsentwicklung werden allein die Bewohner von Lagos bis zur Mitte des Jahrhunderts jährlich mehr als eine Million Tonnen Reis konsumieren. Es stellt sich die Frage, wie die Stadt die Versorgung ihrer Bewohner in den kommenden Jahrzehnten sicherstellen kann, wenn die Urbanisierung der Region weiter fortschreitet.

Die Architektur der Zukunft

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Denn mit der Verstädterung verschwindet auch immer mehr Erde und damit potenzielles Ackerland unter Beton. Weltweit sind rund 5% der verfügbaren Landmasse verbaut. Versiegelte Flächen ziehen noch weitere Probleme nach sich. So kann zum Beispiel Wasser nach Regenfällen schwerer abfließen – überflutete Straßen und Keller drohen. Mit einer durchdachten Planung und nachhaltigeren Lebensweisen der Bevölkerung können diese und andere negativen Konsequenzen abgemildert werden. Deutlich wird das durch den Vergleich der Städte Atlanta und Barcelona. Mit 2,5 und 2,8 Millionen verfügen sie über ähnlich viele Einwohner. In Atlanta verteilen sie sich durch die in Nordamerika übliche und weitläufige Suburbanisierung auf eine Fläche von 4280 km². In Barcelona sind lediglich 162 km² bebaut. Das hat wesentliche Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß. Während beim durchschnittlichen Barceloner der öffentliche oder private Transport in der Stadt pro Jahr mit 0,7 Tonnen Kohlendioxid zu Buche schlägt, blasen die Bewohner Atlantas für den Weg von A nach B im Schnitt das Zehnfache in die Luft.

Doch auch wenn Maßnahmen wie Urban Farming oder der Umstieg vom SUV auf den Stadtbus Abhilfe bei einigen der beschriebenen Probleme schaffen, wird der ökologische Druck durch die Verstädterung auf die Umwelt in den kommenden Jahren enorm zunehmen.

Bauer mit Gummistiefen in ausgetrocknetem Maisfeld

Steigende Temperaturen, steigender Meeresspiegel

Schon heute mehren sich die Anzeichen, dass unser Planet in Folge der Urbanisierung an die Grenzen seiner Kapazität angelangt ist. Hinzu kommt, dass uns Versäumnisse aus der Vergangenheit einholen. In den kommenden Jahrzehnten werden sich die Klimazonen verschieben. Längere Hitzephasen werden das Leben in vielen Städten schwieriger machen. Mehr Dürren drohen und setzen eine enge Zusammenarbeit urbaner Räume mit ländlichen Gebieten voraus, damit die negativen Folgen abgemildert werden können.

Darüber hinaus werden durch die globale Erwärmung bis 2050 knapp eine Milliarde Menschen akut vom steigenden Meeresspiegel betroffen sein. Verschiedene Szenarien zeichnen unterschiedliche Bilder – doch selbst im Optimalfall werden Küstenstädte rund um den Globus ein ernstes Problem bekommen. Ein Beispiel ist Miami, das auf porösem Kalkstein erbaut wurde. Steigt der Meeresspiegel, ist ein Schutzwall an der Küste nutzlos, denn das Wasser dringt durch den löchrigen Untergrund in die Stadt ein. Einer unsicheren Zukunft blickt auch die indonesische Stadt Jakarta entgegen. Ihr Untergrund sank in den letzten zehn Jahren um bis zu zweieinhalb Meter ab. Laut Berechnungen werden bis 2050 rund 95% der Stadt vom Meer überflutet sein. Eine Entwicklung, die bedenklich stimmt. Grund genug für die indonesische Regierung, Pläne über einen Umzug der Hauptstadt in andere Landesteile ins Leben zu rufen.

Von Tokio bis nach Norddeutschland werden von dieser Entwicklung nicht nur Menschen und ihr Eigentum, sondern auch die Infrastruktur vor Ort betroffen sein. Was passiert mit Fabriken, Flughäfen, U-Bahntunneln, Ackerland oder Abwasserkanälen, wenn die Flut kommt?

Wiener Linien Sticker bittet Nutzer, ihren Platz älteren oder behinderten Personen zu überlassen

Lebenswerte Städte für alle

Aber die Stadt der Zukunft muss sich nicht nur an wirtschaftlichen und ökologischen Fragestellungen orientieren, sondern auch an den Bedürfnissen der Stadtbevölkerung. Soziale Gerechtigkeit, Sicherheit, Inklusion und die Möglichkeit für alle Menschen zur freien Entfaltung stellen Grundanforderungen an den städtischen Raum dar. Dazu zählen gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetze ebenso, wie die Bereitstellung sozialer Service-Einrichtungen für alle Bewohner. Darüber hinaus sollte Phänomenen wie zum Beispiel der Segregation – also die räumliche Trennung von sozialen Gruppen in einer Stadt – entgegengewirkt werden. Im 21. Jahrhundert fordern die Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt zudem auch ein Mitspracherecht bei der Gestaltung physischer und sozialer Aspekte des urbanen Lebensraums ein.

Viele dieser Herausforderungen lassen sich durch eine vorausschauende und partizipative Politik und Stadtplanung meistern. Doch für die Lösung mancher städtischen Probleme bedarf es auch den Einsatz technologischer Mittel:

  • Im Jahr 2019 ist die Bauindustrie für 30-40% des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Green Building, also nachhaltiges Planen und Bauen, spart Ressourcen durch den Einsatz recycelter Materialien. Ein weiteres Augenmerk liegt bei Gebäuden auch auf einer höheren Energieeffizienz. Gleichzeitig wird der Anteil an Baustoffen reduziert, der auf der Mülldeponie endet.
  • Smarte Oberflächen erzeugen Energie, grüne Fassaden senken die Temperatur – der Einsatz neuer Materialien und Designs wird sich positiv auf das Leben in Städten auswirken und der Umwelt zugutekommen.
  • Die nachhaltige Verdichtung von bebauten Gebieten, modulares Bauen oder Micro Housing nutzen den vorhandenen Raum in einer Stadt besser aus. Beispiele aus Japan zeigen vor, wie wenig Platz optimal ausgefüllt werden kann. Der Effekt: Es müssen weniger Gebiete in Bauland umgewidmet werden – Naturräume vor allem am Rand der Stadt bleiben von der Verstädterung verschont.
  • Auch die Digitalisierung von Prozessen im Bau- und Immobiliengewerbe sorgt für Effizienzsteigerungen. Bauprojekte können schneller, kostensparender und in besserer Qualität durchgeführt werden.

Smartes St.Gallen 2030

Die Gestaltung und Planung von nachhaltigen Städten ist eine der Hauptherausforderungen unserer Zeit. Dabei ist es nicht immer einfach die richtige Balance zwischen Klimaschutz und Wachstum zu finden, die für alle Akteure und Akteurinnen Vorteile bringt und in der der Mensch im Zentrum steht. Die Stadt St. Gallen in der nordöstlichen Schweiz vereint seit Jahren mehrere Smart City-Ansätze, die sich allesamt um effiziente und ökologische Lösungen drehen. Als “Smarte Wirtschaft“ versteht sie vor allem eine effiziente und umfangreiche Vernetzung von sämtlichen Geschäftsfeldern und Arbeitsprozessen.

Seine Vision 2030: Als Lebens- und Wirtschaftsstandort attraktiver zu werden, bei der das Motto „hohe Lebensqualität bei minimalem Ressourcenverbrauch“ lautet, sowie alle betroffene Akteure und Akteurinnen durch ein partizipatives Verfahren mit einzubeziehen. Denn St.Gallen verfügt bereits über eine nachhaltige Infrastruktur, die Mobilität und Energie vereint und öffentlich wie privat nutzbar ist. Die Stadt brilliert jedoch nicht nur durch ihre infrastrukturelle Vernetzung sondern ist auch in Kooperationen gut vernetzt und verfügt darüber hinaus über ein flächendeckendes Glasfasernetz. Somit sind die wichtigsten Voraussetzungen für St. Gallen als Smart-City sowohl für Energienutzung, Kommunikation als auch in der Wirtschaft und im Handel gelegt. Hierbei wird besonders auf die Förderung innovativer Projekte im Bereich der Digitalisierung gesetzt, was gleichzeitig ideale Rahmenbedingungen für Start-Ups und KMUs ermöglicht. In seinem Ökosystem setzt St.Gallen zudem auf Open Data und Open Source-Maßnahmen, für dessen Umsetzung der Smarte Stadt Lenkungsausschuss (SSLA) gegründet wurde.

Kooperieren und lernen

Damit die Stadt der Zukunft lebenswert bleibt, müssen Bewohner, Politik, und Akteure aus der Wirtschaft gemeinsam aktiv werden und verschiedene Lösungsansätze sinnvoll miteinander kombinieren. Wie die genannten Beispiele zeigen, lohnt es sich dabei auch, von Städten in anderen Teilen der Welt zu lernen. Fakt ist aber auch, dass für einige der beschriebenen Probleme noch keine Lösungen existieren – somit ist auch in Zukunft die Innovationskraft der Bau- und Immobilienbranche gefragt.

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